Dialekttagung im Neuen Schloss in Stuttgart

Von und mit Nadine Strauß

Nadine Strauß mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann

Dertingen/Stuttgart. Für vergangenen Freitag hatte der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg zu einem Dialektsymposium ins Neue Schloss geladen. Eine Bestandsaufnahme sollte es werden und es war den Organisatoren wichtig, dass nicht nur die Schwaben zum Zug kommen, sondern auch die Allemannen, die Pfälzer und die Franken.

Ein Vertreter dieser Gattung durfte ich sein, worauf ich ein bisschen stolz bin. Als vor vier Wochen die Einladung von Herrn Kretschmann persönlich – mit geprägtem Landeswappen und persönlichem Anmeldecode – in meinem Briefkasten lag, war ich schon ziemlich beeindruckt.

Der erste Teil des Programmes fand im Weißen Saal statt. Nach der Begrüßung durch den Ministerpräsidenten, der sein Schwäbisch schon im normalen Leben und gerade an diesem Tag nicht unterdrücken will, stand Dodokay auf der Bühne. Ein Kabarettist, der für seine auf schwäbisch synchronisierten Filmszenen bekannt wurde. Er sprach davon, welche Vorteile es haben kann, Dialekt zu sprechen. Angenommen, man wird abgehört, von der NSA zum Beispiel. Wenn da zwei Spione in irgendeinem Übertragungswagen sitzen und kein Wort verstehen und der eine zum anderen sagt: „What the f*** is a Brestling?“ (Was um Himmels Willen ist ein Brestling?) (Brestling = besondere Form der Walderdbeere) Der Einstieg in die Tagung war schonmal gelungen.

Da können die mit ihrem Hochdeutsch doch daheim bleiben

Herr Kretschmann selbst sprach davon, dass Dialekt so etwas wie eine Erkennungsmelodie ist. Und wie viele tolle Worte es gibt, mit denen man sich sehr viel besser ausdrücken kann. Das gilt einerseits für Kraftausdrücke – ein Schâfseggl ist wohl auch ein Schimpfwort, aber doch lange nicht so scharf wie ein Depp beispielsweise. Später am Tag – er war übrigens wirklich wie alle Teilnehmer von 13:30 Uhr bis nach 20 Uhr gemeinsam mit seiner Frau anwesend – brachte er noch ein anderes Beispiel. „D’Aget haget wenn’s taget“ preist er als ein tolles Beispiel für schwäbischen Dialekt, viel schöner als es ein Hochdeutschsprechender jemals ausdrücken könnte – denn da muss es heißen „Agathe baute im Morgengrauen einen Zaun“. „Da können die mit ihrem Hochdeutsch doch daheim bleiben“, sagte Herr Kretschmann mit einem Augenzwinkern.

Es folgten Beiträge von Prof. Dr. Klausmann von der Universität Tübingen, der sich übrigens auch schon vor Jahren um „unseren“ – den nordbadischen – Sprachatlas gekümmert hat. Damals war ein Team dieser Universität in Dertingen und hatte dialektsprechende Bürger befragt. Er nahm sich dem Thema „Diskriminierung“ an. Es ging darum, dass manche Leute vielleicht schlechter eine Arbeit fänden, weil sie Dialekt sprechen, dass ein Kind in der Schule schlechtere Noten zu befürchten habe oder es das Fernsehen für nötig halte, einen Untertitel einzublenden, wenn jemand muttersprachlich spricht.

Wenn die an „Dackel“ brauchen, dann schwätzt der Schwäbisch

Auch die Rollenverteilung in Filmen wurde angesprochen. Später am Tag brachte das jemand so auf den Punkt: „Wenn die an „Dackel“ brauchen, dann schwätzt der Schwäbisch“ Soll heißen: die, die „nicht ganz gebacken“, zurückgeblieben oder einfältig sind, die sprechen im Film dann Dialekt. Schlechten Dialekt übrigens – das kommt auch noch dazu. Die Teilnehmer haben zudem erfahren, dass es in Norwegen seit Mitte des 19. Jhd. ein Gesetz gibt, das verbietet, Kinder zu rügen, wenn sie Dialekt sprechen.

Außerdem kam Frau Prof. Dr. Christen zu Wort. Eine Schweizerin, die uns in den sprachlichen Alltag unserer Nachbarn einführte. Dort käme übrigens niemand auf die Idee, Schriftdeutsch zu sprechen. Dialekt ist völlig salonfähig.

Dialekt in Humor und Kunst

Nach einer kurzen Pause ging es im Mitteltrakt des Neuen Schlosses mit Diskussionsrunden weiter. Man musste sich vorher zu einem Tisch anmelden, bei mir war das „Dialekt in Humor und Kunst“. Mein Treffpunkt war das „Empirezimmer“. Ein toller Raum in einem tollen Schloss, allein das war den Ausflug schon wert. In meiner Gesprächsrunde waren die unterschiedlichsten Leute vertreten: Theaterregisseure, Filmemacher, Opernsänger, Märchenerzähler, Kabarettisten, Musiker, und ein Syrer, der seit drei Jahren in Deutschland lebt und bei Youtube „Schwäbisch für Anfänger“ veröffentlicht.

Hannes und der Bürgermeister

Und dann waren da noch Karlheinz Hartmann und Albin Braig – besser bekannt als Hannes und der Bürgermeister. Zwei Mundartkünstler, die den Durchbruch geschafft haben und mit einer regelmäßigen Sendung im SWR vertreten sind. Aber das war nicht immer so. Albin Braig erzählte von den Anfängen, von einem Bühnenboden, der praktisch keiner war, von seinem Vater, der sagte, ab 10 Zuschauern wird gespielt!, es aber oft keine 10 Zuschauer waren. Mit denen ist man dann ins Wirtshaus und hat ein paar Liedle gesungen. Sie haben keine Werbung gemacht, das wollten sie sich sparen. Ihr Motto war: “Wenn wir gut sind, dann spricht es sich rum, wenn nicht, „varegga solls“. Wie wir heute wissen, ist es nicht verreckt. Er berichtete, dass sie viele Jahre kein Geld hatten und lange Zeit hauptberuflich einen Betrieb führten, weil es sonst nicht zu finanzieren gewesen wäre. Ein schönes Beispiel, dass jeder mal klein anfangen muss.

Im weiteren Verlauf wurden viele Probleme rund um den Dialekt erörtert. Ob es fehlende öffentliche Förderung ist, Zeitungen, die nicht im Dialekt berichten wollen oder Fernsehsender, die dem Dialekt zu wenig Raum geben. Der SWR kam nicht besonders gut weg an diesem Tag. Obwohl – und das habe ich hinterher erfahren – es an diesem Tag auf allen SWR-Kanälen um die Mundart ging.

Alles was im Dialekt passiert, muss immer lustig sein

Man hat auch das Problem angesprochen, dass man als Mundartler nicht ernst genommen wird. Alles was im Dialekt passiert, muss immer lustig sein. Ernste Dinge funktionieren nicht im Dialekt. Dazu muss ich sagen, dass ich mit meinen Wörterbüchern und Hörbüchern sehr froh bin, dass man es humorvoll verpacken kann und es einfach lustig ist. Warum denn auch nicht? Beim letzten Adventsmarkt in Dertingen war ein Teenager bei mir am Stand, blätterte durch ein Wörterbuch und freute sich über das Wort „Ladwercha“ – „das hat meine Oma früher immer gekocht, das kommt auf die Linzertorte“, hat sie gelacht. Das war mal wieder so ein kleiner Moment, in dem ich mich riesig freue. Andererseits habe ich letztes Jahr in Zusammenarbeit mit der Wertheimer Zeitung das Weihnachtsevangelium im Dertinger Dialekt gelesen. Natürlich ist es lustig, wenn „dâs Kiind im Droug leid“ – aber die Ernsthaftigkeit des Textes ist trotzdem nicht verloren gegangen.

So konnte jeder für sich aus den vielen angeschnittenen Themen das herausfiltern, was zu seinen Projekten passte.

Dialektförderung – eine Aufgabe für die Landesregierung

Zurück im Weißen Saal gab es eine Podiumsdiskussion unter dem Titel „Dialektförderung – eine Aufgabe für die Landesregierung“, u.a. mit Ministerpräsident Kretschmann und Vertretern von Wissenschaft, Medien und auch der Schulen. Dieser Schulvertreter ist grundsätzlich auch dafür, dass man dem Dialekt in Schulen in welcher Form auch immer einen Platz einräumt. Viel schlimmer wäre es aber, dass die heutigen jungen Referendare und Lehrer selbst nicht einmal vernünftiges Hochdeutsch sprechen und schreiben können, Satzbau und Grammatik Fremdwörter seien. Er sieht da erst einmal ganz andere grundlegende Probleme, bevor man überhaupt über Dialekt reden sollte. Das hat mir zu denken gegeben.

Ohne irgendeine Förderung

Während dieser Diskussion saß ein Mann neben mir, der sich als Vertreter des Staatsministeriums vorstellte und mich fragte, was denn mein Zugang zur Mundart ist. Ich habe ihm von meinen Projekten erzählt und wir kamen ins Gespräch. Irgendwann fiel mein Satz, dass ich sehr froh darüber war, jemanden mit Tonstudio zu kennen, wo wir das Hörbuch aufnehmen konnten, denn kosten darf so etwas ja auch nichts. Da bekam der Mann große Augen und fragt mich doch tatsächlich, ob ich das denn „ohne irgendeine Förderung“ gemacht habe. Ja natürlich habe ich das ohne Förderung gemacht! Was träumt denn der nachts?

Die Dialekte in Baden-Württemberg

Unter dem Titel „So klingt Baden-Würrtemberg“ ließen namhafte Mundartkünstler den Dialekt lebendig werden. Das war der Abschluss einer sehr interessanten Tagung und eines für mich sehr aufregenden Tages. Ob der Ministerpräsident nun grün oder orange ist, war an diesem Tag völlig egal. Ich finde es toll, dass man sich dem Thema annimmt. Was daraus jetzt wird, steht natürlich auf einem anderen Papier. Aber der Anfang ist gemacht. Besonders viel Fränkisch wurde übrigens nicht gesprochen an diesem Tag, das Schwäbische hatte schon dominiert. Aber man hat uns in Nordbaden nicht vergessen. Auf der Karte kann man sehen, dass wir sogar eine eigene Farbe bekommen haben – das ist doch was.

Dialekt ist wie ein Fußballtrikot – man muss wissen, wo man hingehört.

Abschließend noch ein Zitat von einem der Mundartkünstler: Dialekt ist wie ein Fußballtrikot – man muss wissen, wo man hingehört.

Nadine Strauß
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