Der Flügelaltar
Das wertvollste Ausstattungsstück der Kirche ist ohne Zweifel der Flügelaltar aus der Wende vom 15. zum 16. Jh.1
Auch wenn keine historischen Urkunden vorhanden sind, kann man den Altar mit Kunstkenntnis unseres fränkischen Raums der Schule und dem Umfeld Tilman Riemenschneiders zuordnen.
Die geöffnete Fest- und Feiertagsseite zeigt Schnitzwerk, die geschlossenen Flügelrückseiten und Seitenwände Tafelmalerei. Auch die Rückseite des Altars ist bemalt und zeigt eine Darstellung des Jüngsten Gerichts, darunter eine Abbildung des Schweißtuchs der Veronika.
Die Fest- und Feiertagsseite zeigt im Mittelpunkt Maria mit dem unbekleideten Jesuskind auf dem Arm. Sie ist umgeben von einem Strahlenkranz, steht auf einer Mondsichel und zwei schwebende Engel setzen ihr eine Krone aufs Haupt.2
Rechts von Maria erhebt sich die Hl. Barbara mit Kelch und Hostie in der Hand, links die Hl. Katharina von Alexandrien mit Schwert und zerbrochenem Rad zu ihren Füßen.
Zwischen den drei Figuren zwei stehende Engel, die auf das Jesuskind zeigen. Geschnitztes Rankenwerk bildet den oberen Abschluß des Mittelteils. Daran hängen zwei schwebende Engel, die jeweils ein Wappen tragen. Da „der rechte Engel tatsächlich das Wertheim – Breuberg´sche Wappen trägt…“, war der Altar möglicherweise eine Stiftung des Grafen Michael II von Wertheim und der Gräfin Barbara von Eberstein.3
Auf den beiden Schwenkflügeln befinden sich jeweils vier Heilige, in zwei Reihen angeordnet:
Auf dem linken Flügel im oberen Feld der Hl. Laurentius mit einem Feuerrost in der Hand, daneben der Hl. Wendelin mit einem Hirtenstab. Im Feld darunter die Hl. Elisabeth von Thüringen mit einem Laib Brot in der Hand, daneben der Hl. Leonhard mit einem Buch.
Auf dem rechten Flügel im oberen Feld der Hl. Kilian4, daneben der Hl. Sebastian mit einem Pfeil in der Hand, darunter die Darstellung der Hl. Anna selbdritt (Anna, die Mutter Mariens, mit Maria, ihrer Tochter, und dem Jesuskind), daneben die Hl. Dorothea mit einem Schwert.
Im Unterbau, der Predella, sind Christus mit einer Kugel in der Hand und die zwölf Apostel zu sehen. In zwei separaten Nischen links und rechts davon die Hll. Bonifatius und Burkard5.
Bis heute ist es Tradition, daß während der Vorbereitungszeiten im Kirchenjahr, im Advent und in der Passionszeit, entsprechend dem einkehrenden Charakter dieser Zeiten die Flügel verschlossen werden. Die Predella wird durch eingeschobene Tafeln verdeckt. Im geschlossenen Zustand zeigt sich mittelalterliche Tafelmalerei:
Die Flügelrückseiten zeigen Szenen aus dem Leben Mariens, sowie verschiedene Heilige: Im oberen linken Feld die Anbetung des Kindes durch die drei Weisen aus dem Morgenland6, daneben rechts die Sterbestunde Mariens im Kreise der Apostel.7
In den unteren beiden Feldern eine Reihe von Heiligen (von links): die Hl. Margaretha mit einem Drachen zu ihren Füßen, daneben das Bamberger Kaiserpaar Hl. Heinrich II und Hl. Kunigunde mit einem Modell des Bamberger Doms in der Hand, daneben (im unteren rechten Feld) die Hl. Maria Magdalena mit einem Salbgefäß in der Hand8, die Hl. Ottilie im Nonnenornat mit einem Buch, auf dem zwei Augen liegen und schließlich die Hl. Appolonia mit einer Zange und einem gezogenen Zahn darin.
Auf den festen Seitenwänden links und rechts außen sind jeweils zwei Gemälde zu sehen.9
Diese zeigen zunächst die vier lateinischen Kirchenväter, die aber durch die neben den Figuren sitzenden Tierzeichen auch die Evangelisten verkörpern sollen (vgl. Medaillons im Deckengemälde): Links oben Papst Gregor der Große mit einem Löwen (Markus), darunter Bischof Ambrosius mit einem Adler (Johannes), auf der gegenüberliegenden, rechten Seitenwand oben Kardinal Hieronymus mit einem Engel/Menschen (Matthäus), darunter Erzbischof Augustinus mit einem Rind (Lukas).
„Die zweitheilige Schiebethür vor dem Predella – Relief zeigt den Abschied der Apostel10.“11
Erwähnt sei abschließend auch ein „…vergoldetes Krucifix [1765], das während des Gottesdienstes vor dem geöffneten [und geschlossenen!] Altar aufgestellt wird …“12.
Historische Stimmen zum Flügelaltar
Es fällt auf, daß sich der Marienaltar in der sehr früh evangelisch gewordenen Kirche erhalten hat und keinem Bildersturm zum Opfer gefallen ist.
Ludwig Camerer schrieb 1897 (!): „Es ist noch nicht gar lange her, daß aus bairischen Nachbarorten besonders auch Böttigheim und Helmstadt Katholiken nach Dertingen gewallt sind, um vor diesem Marienaltar zu beten“13.
Dr. Johannes Meisenzahl schrieb in seiner Altarbeschreibung „Der Schreinaltar in Dertingen“ (S. 4): „Insgesamt ist dieser Altar also eine Art Heiligengalerie für das einfache Volk des ausgehenden Mittelalters“.
„Im Jahre 1871 sind diese Holzbilder farbenprächtig restauriert und neuvergoldet14 worden …“, schrieb Ludwig Camerer weiter.15 „Bei dieser Restaurierung ist das neugotische Gesprenge angebracht worden, das bei einer erneuten Restaurierung des Altars nach dem Krieg wieder entfernt worden ist.“16
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1 A. v. Oechelhäuser, S. 92
2 vgl. Offb. 12, 1
3 Festschrift: Jörg Paczkowski, S. 27
4 Kilian missionierte mit seinen Gefährten Kolonat und Totnan die Franken, Patron Würzburgs, 689 überfallen und enthauptet.
5 741/43 (?) von Bonifatius zum 1.Bischof von Würzburg eingesetzt. Burkard stirbt 754 in der nach ihm benannten Höhle unter dem Schloß in Homburg/Main. Mit Kilian zusammen also drei Würzburger Bistumsheilige
6 vgl. Mt. 2, 1ff
7 sowohl der geöffnete, als auch der geschlossene Zustand bestätigt die Bezeichnung Marienaltar
8 vgl. Lk. 7, 36ff
9 Festschrift: Jörg Paczkowski, S.27: „Der Altar in Dertingen ist ein Wandelaltar, d.h. bei Schließung der Feiertagsseite bleibt immer noch die Form eines Flügelaltars gewahrt.“
10 vgl. Mt. 10, 5ff ; Lk. 9, 2
11 A. v. Oechelhäuser, S. 92
12 L. Camerer, S. 11
13 ebenda
14 A. v. Oechelhäuser, S. 92: „mit reichlicher Verwendung von Gold“
15 L. Camerer, S. 10
16 Festschrift: Jörg Paczkowski, S. 29