Ortsgeschichte

Die Besiedlung des Weindorfes Dertingen reicht zurück bis in die alemannisch-fränkische Zeit. Eine Siedlungsgemeinschaft dürfte bereits einige Jahrhunderte vor der ersten urkundlichen Erwähnung im 9. Jh. existiert haben, denn Ortsnamen auf -ingen wie Dertingen gehören zu den ältesten in Deutschland. Sie gehen in der Regel auf die im 3. Jh. begonnene alemannische Besiedlung Südwestdeutschlands zurück.

Beurkundet wird das Bestehen des Ortes erstmals im Jahr 839. Datiert auf den 9. Juli dieses Jahres bestätigte Kaiser Ludwig der Fromme (der Deutsche) in Bad Kreuznach einen Tauschvertrag zwischen dem ehemaligen Fuldaer Abt Raban und dem hiesigen Gaugrafen Poppo. Hiernach übergab der Abt Raban dem Grafen Poppo als Grafschaftsgut 11 mansus/Huben (Haushaltungen) mit Leibeigenen zu Tharehedingen im Waldsassengau und erhielt dafür vom Grafen Poppo Rominigas (Remlingen) im selbigen Gau und einen Teil des Spehteshart (Spessart).
Als Rechtsnachfolger des Gaugrafen Poppo sind 500 Jahre später die Grafen von Wertheim als Dorfherren nachzuweisen. Im Zuge von Stiftungen aus dem Wertheimer Grafenhaus in der ersten Hälfte des 14. Jh. wurde der Ort Dertingen als Entschädigung vom Grafen Rudolf von Wertheim 1355 an den Bischof Berthold von Eichstätt als neues Lehen übertragen. Zu diesem Zeitpunkt ist Dertingen vermutlich bereits eigenständige Kirchengemeinde gewesen.

Unter Graf Georg II. wurde 1522 gleichzeitig mit der Stadt Wertheim auch in Dertingen die Reformation eingeführt. Nach dem frühen Tod des Grafen Michael III. von Wertheim, dem letzten seines Stammes, kaufte dessen Schwiegervater Graf Ludwig von Stolberg nach langen Verhandlungen mit dem Bistum Eichstätt 1559 das Dorf Dertingen für 7500 Gulden zurück, dem es fortan als freies Eigentum unterstand. Nach dessen Tod im Jahr 1574 wurde Dertingen schließlich Eigentum des Grafen Ludwig zu Löwenstein, in dessen Linie der Ort fortan auch verblieb.

Der Ortsname wandelte sich von Tharehedingen über Deredingen (1194), Terdingen (1214), dann Daridingen, Darigingen und Derdingen schließlich zu Dertingen. In seiner wechselvollen Geschichte hatte Dertingen unter verschiedenen kriegerischen Auseinandersetzungen zu leiden. Während des Großen Deutschen Bauernkrieges versammelten sich am 9. August 1525 die aufständischen Bauern der Grafschaft in Dertingen. Jedoch blieb der Ort zu diesem Zeitpunkt vor ernsthaften Plünderungen verschont, da sich Graf Georg II. anfangs auf die Seite der Bauern stellte.
In den Kämpfen zwischen dem Wertheimer Grafenhaus und dem Würzburger Fürstbischof, die im Jahre 1598 wegen der Ansprüche des Grafen Ludwig zu Löwenstein auf alte würzburgische Lehen begannen, war der Ort schweren Verheerungen ausgesetzt. Aus dieser Würzburger Fehde sind viele schriftliche Berichte noch erhalten.
So weiß man beispielsweise, daß die Würzburger im Juni 1600 daran gingen, sich ihren Zehnt gewaltsam abzuholen. In den Folgejahren oblag es dann mehr dem Zufall, ob nun der Würzburger Fürstbischof beim Abholen des Zehnt dem Wertheimer Graf zeitlich gesehen zuvorkam, oder ob der Wertheimer Graf den Ort gegen die Angreifer verteidigen konnte. Vom 8. Juli 1603 wird überliefert, daß der Angreifer nach Einnahme des Dorfes sein „grob Geschütz zu beschiessung deß Kirchenthurns gerichtet (und) die Kirchenthür mit Axten uffgehauen“ habe.
Die allemal gewaltsame Vorgehensweise beim Einholen des Zehnt steigerte sich beiderseits und eskalierte am 6. Juli 1607 in einem richtigen Gefecht: Die Würzburger Angreifer erschienen in den Morgenstunden so in der Überzahl, daß es dem verteidigenden Wertheimer Grafen Joachim Dietrich von Löwenstein nur noch übrigblieb, sich auf den Kirchhof zurückzuziehen. Nachdem jedoch dessen Bruder Graf Wolfgang Ernst zu Löwenstein Verstärkung gebracht hatte, konnten die Würzburger mit vereinten Kräften zurückgetrieben werden.

Die 1578 erbaute äußere Dorfmauer, welche heute noch in großen Teilen erfahrbar ist, konnte dabei offenbar keinen ausreichenden Schutz garantieren. In Ergänzung zu dieser stellte die ummauerte Kirche, wie am Beispiel des erwähnten Gefechts deutlich wird, den lebensrettenden inneren Ring der Dorfbefestigung dar. Aus diesen Gefechten wird weiterhin berichtet, daß der Würzburger Fürstbischof Julius Echter am 27. August 1614 beim Einfall der Würzburger während der Heuernte aus einer Sänfte herab dem Kampfspektakel sogar zugesehen haben soll. Weiterhin ist überliefert, daß sich die Dertinger bereits 1613 verpflichten mußten, jährlich 15 Fuder (15.000 Liter) Dertinger Wein an den fürstbischöflichen Weinkeller nach Würzburg abzuliefern. Erst mit dem Tod des Bischofs Julius Echter im Jahr 1617 hörten die Belästigungen von Würzburger Seite aus auf. Dertingen erlebte fortan unter den Wertheimer Grafen ruhigere Zeiten. Im Jahr 1620 konnte dann laut Überlieferung „zum 1. Male der Zehnte ohne Störung eingesammelt, heimgeführt und das Korn ausgedroschen werden“.

Steffen Baumann

 

Die Bedeutung Dertingens, als eines der größten Dörfer der Grafschaft Wertheim, wird einmal durch die im 16. Jahrhundert errichtete Dorfmauer und den befestigten Kirchhof unterstrichen. Die andere Eigenschaft, die Dertingen einer Stadt ähnlich machte war die Marktgerechtigkeit.
Im einer Neuverleihung im Jahre 1698 wird erwähnt, daß das Marktrecht schon vor dem Dreißigjährigen Krieg bestanden hat. Demnach sollten jährlich drei öffentliche Märkte an drei Sonntagen im Jahr (der erste am Sonntag nach Georgi im April, der zweite am Sonntag nach dem Veitstag im Juni und der dritte am Sonntag nach Galli im Oktober) abgehalten werden. Der Marktfriede sollte sich auf In- und Ausländer erstrecken, jedoch nicht auf Personen, die in kaiserlichen oder Rechsacht standen. Auch sollte während des Marktes keine Pfändung wegen Schulden möglich sein, sondern jedermann freier Zu- und Abgang gewährt werden. Die Gemeinde Dertingens war berechtigt, ein Markt- oder Standgeld zu erheben, das jedoch nur für die Erhaltung der Dorfmauer und des Pflasters verwendet werden durfte. Diese Bestimmung wurde später noch einmal sehr wichtig. 1777 erhob sich die Frage, ob der Fürst und die Grafen nicht einen Anteil am Marktgeld zu beanspruchen hätten. Durch urkundliche Niederschriften mußte die Regierung feststellen, daß das nicht der Fall war und sich damit begnügen, das Landamt anzuweisen, genau auf die Verwendung des Geldes zu achten. Das Marktrecht ist mit Beginn des Ersten Weltkrieges untergegangen.

Nachdem der Feldzug der verbündeten Mächte Österreichs und Preußens gegen Frankreich zur Wiederherstellung des Königtums gescheitert war, überschritten Truppen der französischen Revolution im Gegenzug die Reichsgrenzen. 1796 quartierte sich General Moreau und seine Truppen von Juli bis September in Dertingen ein. Moreau wurde dann bei Würzburg und Amberg durch Erzherzog Karl von Österreich geschlagen und mußte sich wieder über den Rhein zurückziehen. 1799 versammelte sich eine zweite Koalition gegen Frankreich, die jedoch von Napoleon geschlagen wurde. Die Armee Moreaus drang wieder in Süddeutschland ein. Von 1800 bis 1801 befand sich ein französisches Lazarett in Dertingen, für das von der Gemeinde mancherlei Dienste geleistet werden mußte. Nachdem Napoleon 1804 zum Kaiser Frankreichs gekrönt wurde und eine dritte Koalition geschlagen hatte, gründete er 1806 den Rheinbund. Dieser umfaßte 16 süddeutsche Fürsten, die somit aus dem Reich austraten und dem Protektorat des französischen Kaisers unterstanden. Diese Fürsten bekamen dafür beträchtliche Entschädigungen auf Kosten der kleineren Herrschaften. So erhielt der Marktgraf von Baden, der auch zum Großherzog aufstieg, unter anderem den südlichen Teil des Maines der Grafschaft Wertheim. Der Fürst und die Grafen von Wertheim mußten in diesem Teil ihrer Grafschaft den Großherzog als Oberherrn anerkennen. Am 20. September 1806 erschienen in Wertheim ein französischer und ein badischer Kommissar, die der fürstlichen und der gräflichen Regierung formell die Besitzergreifung durch Baden erklärten. So wurde in Dertingen und in den anderen Dörfern Plakate zur Vorlesung und zum Anschlag geschickt, mit dem bekannt gemacht wurde, daß man jetzt badisch war. Die Markungsgrenze zu Wüstenzell und Homburg war nun die Landesgrenze – zuerst gegen den Staat des Fürstprimas Dalberg und ab 1814 gegen das Königreich Bayern. Dertingen ist seit diesem Zeitpunkt ein geographischer Fixpunkt: es ist der nordöstlichste Ort des Landes Baden. Wenn dies auch das Ende der Grafschaft bedeutete, so blieben die Bindungen zu Wertheim als Bezirksamt bestehen. Seit dieses aufgehoben wurde gehört Dertingen seit dem 30. Juni 1936 zum Amtsbezirk bzw. Landkreis Tauberbischofsheim.

Der Zweite Weltkrieg hinterlies tiefe Spuren in der Bevölkerung. Dertingen hatte 23 Gefallende, 12 Vermißte und 3 an Kriegsfolgen Verstorbene zu beklagen. Insgesamt waren 153 Männer und 3 Frauen aus Dertingen eingezogen worden.

Durch den Bau der Bundesautobahn von 1959 bis 1965 mußte eine Großflurbereinigung durchgeführt werden. 60 Hektar Land wurde dem Straßen- und Wegebau zur Verfügung gestellt – allein 40 Hektar für den Bau der Bundesautobahn. Mit einer großangelegten Gemeinschaftsarbeit wurde die vorhandene Rebflur – 1950 kaum noch 20 Hektar – bereinigt. Man pflanzte in fünf Etappen bis 1967 ca. 64 Hektar Reben neu an und mußte unter schwierigsten Verhältnissen Steinmauern innerhalb des Rebgeländes entfernen um eine moderne mechanische Bearbeigung vorzubereiten. Ganz Dertingen arbeitete in vorbildlicher Weise zusammen. Der damalige Bürgermeister Valentin Götz konnte als Anerkennung einer solchen Gemeinschaftsarbeit und für die erstaunliche Leistung den Philipp-Adam-Ulrich-Wanderpreis gleich dreimal für die Gemeinde entgegennehmen – 1952, 1956 und 1961.

Die Verfassung des Landes Baden-Württemberg von 1971 gliederte Dertingen in die Stadt Wertheim ein. Das Ende einer gemeindlichen Selbständigkeit war gekommen.

Die Dorfsanierung begann 1974. Neue Straßen und Kanäle wurden gebaut, Fassaden und Pflaster neu gestaltet, Pflanzbeete ausgepart und angelegt – diese werden von den Dertinger Bürgern selbst gepflegt und unterhalten. Bei der Straßen- und Platzgestaltung bemühte man sich und eine erhaltende Sanierung und vermied Verfremdungen.
Das alte historische Dorf Dertingen hat durch eine behutsame, erhaltende Sanierung ein neues Gesicht bekommen.

Ergänzung von Roland Keupp

Quellenverzeichnis: zur Ortsgeschichte und zur Wehrkirche:
1) Pfr. Ludwig Camerer: „Unsere Gotteshäuser und ihre Geschichte“ , Wertheim, 1897, S. 6-12
2) „839 / 1980 Dertingen“, Festschrift zur 1200-Jahr Feier des Ortes, S. 23 ff
3) Karl Hergenhan: „Grab-Inschriften auf dem Kirchhof“, abgeschrieben am 15. August 1975
4) Dr. Johannes Meisenzahl: „Der Schreinaltar in Dertingen“, S.1-8
5) Historischer Verein Wertheim: „Wertheimer Jahrbuch“, S.7
6) Staatsarchiv Wertheim: Dr. Volker Rödel: Antwortschreiben auf Anfrage zur Bedeutung der Christusdarstellung
7) Wolfgang Schneider M.A. , bischöfl. Ord.: Antwortschreiben auf „Anfrage zur Zwei-Schwerter-Lehre“
8) 839 – 1980 / Dertinger Ortschronik